Kieferorthopädie - Das Geschäft mit den Zahnspangen

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Ein Besuch beim Kieferorthopäden gehört für viele Jugendliche und Kinder zum Alltag. Auch wir, Nils Balmer und Max Billeter, haben in den vergangenen 1.5 Jahre mithilfe einer Zahnspange unsere Zahn- und Kieferstellungen optimiert. Bei unser beiden Ausgangslagen handelte es sich definitiv nicht um schwerwiegende Fehlstellungen.

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Bei unser beiden Ausgangslagen handelte es sich definitiv nicht um schwerwiegende Fehlstellungen. Viel mehr ging es darum, wie unser Kieferorthopäde uns erklärt hat, unsere Gebisse langfristig gesund halten zu können. Das Endresultat war sicherlich zufriedenstellend, doch wenn wir heute auf unsere Zähne schauen, sehen wir nicht wirklich grosse Unterschiede zum anfänglichen Gebiss. Es stellte sich die Frage: Hat sich diese Operation überhaupt gelohnt? Und unter welchen Umständen kann auf eine Behandlung verzichtet werden?

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Die Kieferorthopädie ist ein Teilgebiet der Zahnmedizin, welches sich mit Zahn und Kieferfehlstellungen befasst. Typische Zahnfehlstellungen sind zum Beispiel: Der Überbiss, Vorbiss, Tief- und Kreuzbiss. Es gibt aber auch schwerwiegende Zahn- oder Kieferfehlstellung, bei denen sogar ein operativer Eingriff nötig sein kann. Jeder Fall muss deswegen individuell diagnostiziert und klassifiziert werden. Das wird mit verschiedenen Indizen gemacht. Weit verbreitet ist das sogenannte Angle-Klassensystem bei dem Neutralbiss, Distalbiss und Mesialbiss unterschieden werden. Nachdem das Gebiss des Patienten ordentlich eingestuft worden ist, wird das weitere Vorgehen besprochen. Die Zähne werden daraufhin mit einer Reihe an Zahnspangen auf die richtige Stelle gebracht und fixiert.

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Ist ein Überbiss oder eine andere Fehlstellung eine Krankheit? Inwiefern hat ein kieferorthopädischer Eingriff einen medizinischen Nutzen und inwiefern ist es ein schönheitsoptimierender Eingriff?

Die Kieferorthopädie kann auf jeden Fall von medizinischem Nutzen sein. Vor allem bei gröberen Fällen, bei denen schwerwiegende Kiefer und Zahnfehlstellungen vorliegen, kann die Rede- oder Beissfunktion darunter leiden. Aber auch Zahnfehlstellungen im kleinen Ausmass sollten laut Zahnärzten zu Einschränkungen führen. So sei das Risiko für Karies und Paradontitis deutlich erhöht. Doch ist der medizinische Nutzen wirklich belegt?

Medizinischer Nutzen

Anhand von aktuellen Studien aus der Kieferorthopädie, lassen sich in vielen Fällen keine gesundheitlichen oder essenziellen funktionellen Beeinträchtigungen und Risiken abweichender Zahnstellungen nachweisen. Das IGES-Institut im Auftrag des deutschen Bundesministeriums für Gesundheit hat eine Studie mit folgender Aussage veröffentlicht: Es gibt keine signifikanten Unterschiede im Vergleich zur Nichtbehandlung. Das heisst dass Zähne nach einer Korrektur vielleicht gerader und Zahnlücken geschlossen sind. Die Zähne jedoch nicht länger halten oder das Zahnfleisch besser geschützt ist. Diese Aussage zeigt auf, dass keine spezifischen Beweise zum Nutzen der Kieferorthopädie vorliegen. Jan Danz, Kursverantwortlicher der Gesellschaft für Kieferorthopädie und Leiter der Studierendenausbilder an der Uni Bern, zeigt uns in einem Interview für den Bund die Häufigkeit eines medizinischen Nutzens bei einer Gebisskorrektur auf: «Medizinisch notwendig im Sinne einer Abweichung von der Norm mit Schädigung aufgrund einer definierten Ursache ist eine Behandlung bei wahrscheinlich etwa 10 Prozent der Kinder». Hier werden klar nur auf die Kinder Bezug genommen. Jedoch sind es die Kinder, die noch am grössten Veränderungen im Gebiss auf sich nehmen müssen. So wird mit dieser Aussage nochmal aufgeführt, wie klein der Teil ist, der wirklich einen medizinischen Nutzen daraus zieht. Doch vielleicht reicht der ästhetische Nutzen schon als Begründung für die Notwendigkeit der Kieferorthopädie. Denn: «Ein schönes Lächeln macht erfolgreich».

Unser Lachen ist ein Teil unseres Aussehens und spielt eine zentrale Rolle bei der Vermittlung von Gefühlen. Die Zähne stehen ständig im Fokus und sind stark mit Schönheitsidealen verknüpft. So werden Menschen mit geraden, weissen Zähnen als kompetenter, intelligenter und psychisch stabiler wahrgenommen als Menschen mit weniger schönen Zähnen. Besonders wichtig ist das bei Jobs mit viel Kundenkontakt oder beispielsweise bei Führungspositionen wie Managern und CEO’s. Aber auch bei der Partnersuche ist ein schönes Gebiss unabdingbar.

Um unsere Anliegen besser verstehen zu können, waren wir auf eine Fachperson mit Erfahrung angewiesen. Wir sind auf Alexander Johner; Kieferorthopäde und Präsident der schweizerischen Gesellschaft für Kieferorthopädie (kurz SGK) gestossen. Wir haben Ihn in seiner Praxis in Murten besucht:

Die Aufgabe der Kieferorthopäden/innen

Wir befinden uns auf einem Steg am Murtensee. Die Sonne scheint, es ist ein schöner Tag und es herrscht ein angenehmes, warmes Klima. Ganz in der Nähe befindet sich die kieferorthopädische Praxis von Alexander Johner und Sigrid Johner-Spinnler, zu welcher wir heute eingeladen sind. Wir haben die Möglichkeit bekommen, ein paar Fragen zu stellen. Wir treten in das grosse Haus ein, dass sich direkt am See befindet. Im Untergeschoss von diesem befindet sich die erwähnte Praxis. Auf den ersten Blick wirkt sie wie eine normale kieferorthopädische Praxis in sauberem und weissem Stil. Wir werden von einer Assistenzärztin in den Warteraum geführt und nach einigen Minuten erwartet uns Herr Johner in seinem schlichten Büro. Herr Johner wirkt im Gespräch an unseren Fragen interessiert und kann diese auch umfangreich beantworten.

Konkret fragten wir ihn: «Was sind für Sie klare Anzeichen, dass ein kieferorthopädischer Eingriff nötig ist». Auf diese Frage antwortet er mit den schon erwähnten Indizen, die bestimmen, ob eine Behandlung vom Kanton übernommen wird oder nicht. Wenn ein/e Patient/in nicht in der Lage ist eine Behandlung zu übernehmen, wird die Behandlung unter der Bedingung das gewisse Kriterien erfüllt sind, mithilfe der Sozialleistung oder auch Ergänzungsleistung übernommen. So sollen finanziell schlechter gestellte Patienten/innen unterstützt werden.

Auf die Frage, wie kritisch ein/e Kieferorthopäden/innen bei einem Entscheid zu einer Behandlung wirklich ist, schilderte er uns folgendes: «Zum einen muss man natürlich bei einer Beratung als Kieferorthopäde/in mit diesen Indexen möglichst objektiv beurteilen, wie schwerwiegend die Fehlstellung ist, andererseits muss jeder Patient mit diesen Informationen die Fehlstellung noch in den jeweiligen eigenen Kontext stellen». Das Prinzip, welches uns Herr Johner erklärte, nennt man in der Medizin die «informierte Bewilligung». Dieses Prinzip wird in der ganzen Medizin angewandt und basiert darauf, dass jede/r Patient/in zuerst eine ausreichende Menge an Informationen über den bestimmten Fall bekommen soll bevor er/sie eine Entscheidungen treffen muss. Wie Herr Johner selbst sagt, ist klar, dass immer eine gewisse eigene Meinung der Fachkraft einfliesst, doch schlussendlich sollte diese Meinung möglichst objektiv sein und am Ende sollte der/die Patient/in entscheiden.

Später erklärte er uns zudem, dass es eine gewisse Grauzone zwischen dem ästhetischen- und medizinischen Nuten gibt. Man kann daher laut Herr Johner die beiden Nutzen nicht klar trennen, den inmitten dieser Beiden gibt es immer eine Unschärfe. Eine Behandlung kann daher einerseits einen ästhetischen Nutzen, andererseits einen medizinischen Nutzen haben. So kann nie genau gesagt werden, wann nur die Ästhetik ein Problem ist.

Dr. med. dent. Alexander Johner in seiner Praxis in Murten
Dr. med. dent. Alexander Johner in seiner Praxis in Murten

Wann kann also verzichtet werden?

Mit all diesen Unklarheiten und Faktoren, die die Entscheidung für oder gegen einen kieferorthopädischen Eingriff beeinflussen, kann man leicht die Übersicht verlieren. Alles in allem gibt es zum einen die persönliche Meinung zur Ästhetik des Gebisses, die darüber entscheidet, ob ein Eingriff nötig ist und andererseits gibt es die objektive Aufklärung eines/r Kieferorthopäden/in, die die Entscheidung des/r Patienten/in beeinflusst. Klar ist, dass aus medizinischer Hinsicht, bei nicht schwerwiegenden Fällen auch mal auf eine Behandlung verzichtet werden kann. Jedoch gibt es immer noch ein gewisses Schönheitsideal, dass in der Gesellschaft verbreitet ist und nachdem sich die meisten Menschen richten. Dieses verlangt eben weisse, geordnete Zähne und einen stabilen Kiefer. Somit liegt die Wahl bei nicht schwerwiegenden Fällen am Ende in der Hand der Patienten/innen.